Studien in Literatur-Psychologie
Ueberlegungen zu einer Studie zu Th. Mann. Dabei wird eine Theorie (die, die Th. Mann beim schreiben anleitet - man kann auch sagen, seine Lebens- und Leseerfahrung) und die Theorie von Sartre (auch eine Leseerfahrung) verglichen. Keiner beobachtet eine reale Welt und wirkliche Menschen. Und die Bjorklund vergleicht ohnehin nur Texte. (pdf)
2020-06-24
Studien in Literatur-Psychologie
Beth Bjorklund vergleicht Th. Mann Vorstellungen über die Psychologie eines -- etwas speziellen -- Menschen mit den Vorstellungen von J.P. Sartre. Beide -- Mann und Sartre -- versuchen den Gegensatz zwischen Ich und Objekt zu erfassen und kristallieren die Relation in Liebe oder Hass.
Mann schreibt eine Novelle -- Tobias Mindernickel -- in der einen Aussenseiter der Gesellschaft beschrieben wird, dessen Beziehung zu andern Menschen schwierig ist und der von andern verachtet wird. Er kauft sich einen Hund, zu dem er ein Verhältnis aufbaut (in der Geschichte) das aber nicht lange gut geht (d.h. eine Liebesbeziehung bildet) und dann umschlaegt; zuerst verletzt er den Hund, dann toetet er ihn.
Der Zugang von Sartre ist sehr theoretisch aber Bjorklund kann die Sicht von Sartre auf die Beziehungen in der Erzählung abbilden.
Es stellen sich zwei Fragen:
passt die Theorie von Sartre zu den erzählten Beziehungen in der Novelle von Mann? Oberflächlich gibt es ein Verbindung; die Theorie scheint zu passen.
beschreibt Mann eine real beobachtete Situation oder ist es vielmehr die von Mann ausgedachte, modellhafte Darstellung der ihm vertrauten Theorie? Aus meiner Lebenserfahrung ist mir keine nur im entferntesten ähnliche reale Situation bekannt und ich bezweifle sehr, dass sie möglich ist; aus der Literatur ist aber das Umschlagen von Liebe in Hass ein verbreitetes Motiv.
Meiner Meinung nach entwickelt Mann eine Novelle, die seine Theorie von Reaktionen und Beziehungen gesellschaftlicher Aussenseiter wiedergeben. Sartre entwickelt die aus der Literatur bekannten Theorien weiter. Dass sich dabei eine Übereinstimmung zwischen Manns und Sartres Vorstellung finden lassen, erstaunt nicht.
Was mich hingegen sehr erstaunt, ist, dass im Text kein Hinweis auf eine reale Situation, reale, beobachtbare Menschen gemacht wird. Es wird nicht behauptet, dass Mindernickel real existiert habe und Mann in beobachtet; es ist immer klar, dass er eine Erfindung von Mann ist und sein Verhalten den Vorstellgen von Mann folgt (und nicht den Regeln des unbekannten aber realen Verhaltens). Es wird vorausgesetzt, dass Mann eine Realität beschreibt (was sich nicht mit meinen Beobachtungen der Realität um mich herum deckt) und diese mit Sartres Vorstellungen verglichen - auch bei Sartre werden keine Beobachtungen einer Realität behauptet.